Die Senderwiese Erching an der Grünecker Strasse wird am 11.09. und am 12.09. zum interdisziplinären Theaterprojekt.
( Foto: udei e.V.)
75 Hektar Wiese {460 m ü. N.N.} Der Mittelpunkt der Welt sendet unendlich
Vladimir Genin hört als kleiner Junge mit seinem Großvater Jazz aus dem Radio. Nicht ungefährlich, denn der Empfänger befindet sich in der Datscha seines Großvaters, die wiederum bei einem Filmproduktionsgeländer vor den Toren Moskaus steht, weil der Großvater als Bühnenbildner des großen sowjetischen Filmregisseurs Sergei Eisenstein arbeitet. Gemeinsam lauschen sie trotzdem „The Voice of America“ vom „Feindsender“, der damals bei Hallbergmoos steht und von dort durch den Eisernen Vorhang in die UDSSR ausstrahlt. Jahrzehnte später lebt Pianist und Komponist Vladimir Genin in Hallbergmoos und veranstaltet als künstlerischer Leiter die „erstKlassik“-Konzerte. „Das ist doch irre“, meint Regisseur Thomas Goerge. „Ich verstehe die Wiese als Sender. Sie sendet mir Informationen und eine ist, dass dort eine Sendeanlage mit einer 256 Meter hohen Antenne war, genau in der Mitte von 1952 bis zur Sprengung 1991.“ Heute existiert auf der „Senderwiese Erching“ noch ein rund geteerter Platz: „Das hat beinahe etwas Kultartiges und genau dort spielen wir 75 Hektar Wiese {460 m ü. N.N.}“, erklärt der 47-Jährige, der unter anderem für seine Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief bekannt ist. Auch Großtante Marga, die als Kind eines jüdischen Rechtsanwalts und eines Hausmädchens, in Nazi-Deutschland bei seinen Großeltern unterkommt, inspiriert Goerge zu dem Stück „75 Hektar Wiese {460 m ü. N.N.}“: „Für mich war das immer die Tante Marga, Punkt, aus. Darüber wurde in meiner Familie nie geredet. Als junges Mädchen hat sie als Kuhhirtin auf dieser Wiese einen Ferienjob gemacht. Irgendwann, als sie noch lebte, sind wir dran vorbeigefahren und sie sagte: „Das war sie!“ Daran habe ich mich erinnert.“ So entsteht ein interdisziplinäre Performance-Projekt mit einer fiktiven Sendeanlage, das die Form eines Theaterstücks hat, erklärt der Bühnenbildner: „Es ist aber nicht mit einem dramatischen Stück wie „Romeo und Julia“ vergleichbar, sondern es wird in kurzen Szenen und Flashs die Geschichte der Wiese erzählt, vom Anbeginn der Welt bis weit in die Zukunft. Für uns ist diese Wiese der Mittelpunkt der Welt, das wiederholen wir fast Mantra-artig.“ Bewusst will er das Projekt in keine Schublade stecken, es sei weder Theater, Performance noch „Land-Art“. „Vielmehr ist es der Versuch Leute zu verbinden“, sagt Goerge. Performative, artistische Einlagen mit Tex- 8 MOOSKURIER | 17. Ausgabe | 3. September 2021 ten und Musik überschneiden sich dabei, als Allegorie singt die Wiese, dargestellt von Sängerin Gabriele Goerge, unterstützt vom Kinderchor.
Im Vorfeld beschäftigt sich Goerge neben der Geschichte zur Nutzung durch den Menschen, auch mit Geologie. „Mich interessiert die Zeit, als der Mensch noch gar nicht auf unserem Planeten war“, erklärt Goerge und spinnt den Faden weiter. „Da gab es aber die Wiese schon. Europa war mal am Äquator gelegen, das heißt, die Wiese war irgendwann am Äquator und ist durch den Kontinentaldrift langsam nach Norden und im Moment ist sie halt hier. Die afrikanische Platte drückt auf die europäische und so sind die Alpen entstanden.“ Ihr Wachstum höre nicht auf, so Goerge. „Wenn das weiter gehen sollte, wird diese Wiese irgendwann in 2.000 Meter Höhe liegen.“ Tatsächlich macht er das Stück auch für den Ort Hallbergmoos. “Ich bin viel unterwegs, meine letzte Premiere war auf dem „Athens Festival“ mit einer Fußballoper. Aber, immer wenn ich nach Hause komme, merke ich, wie sehr mir dieser Ort, wo meine Familie lebt und meine Tochter aufwächst, am Herzen liegt.“ Das beziehe sich nicht nur auf seine künstlerische Arbeit: „Ich will wissen, wie es dem Ort geht, was hier los ist. So viele fahren jeden Tag an der Wiese vorbei und beachten sie gar nicht. Aber wenn ich diesen Ort als Sender verstehe, komme ich ins Unendliche.“ Es sei wie mit allen Dingen: „Wenn ich etwas genau betrachte und analysiere, komme ich in die Unendlichkeit, das ist das Spannende. Es hat auch viel mit Corona zu tun. Der Blick durch Corona auf das, was um uns herum ist, ist viel größer, als das Globale. Unser Verein “Udei“ hat sich „global-lokal“ auf die Fahne geschrieben.“ Die genaue Betrachtung auf das Lokale sei fast eine „Okularinspektion“. „Da nimmt man dann diesen anscheinend unbedeutenden Ort und schaut ihn an und es passiert immer mehr.“
Er wolle vor allem auch Leute verbinden – daher wirken neben „Udei“-Vereinsmitgliedern, weitere Laiendarsteller mit und ohne Behinderungen, Flüchtlingen, Vladimir Genins Orchester, Eleven der step by step Balletschule Hallbergmoos, der Spielmannszug der Feuerwehr Freising und acht Artisten des Circus Feraro, auf der Freilichtbühne mit. „Natürlich freue ich mich über die finanzielle Förderung aus dem „Fond für darstellende Künste“, auch die Gemeinde unterstützt uns, aber der größte Teil kommt durch die ehrenamtliche Arbeit der Mitwirkenden, was die leisten ist bemerkenswert, das Engagement ist wirklich grenzenlos.“ Im Stück 75 Hektar Wiese {460 m ü. N.N.} sind alle gleichwertig, auch Schafe und Heuschrecken. Genauso spielen die kosmische Kräfte, Sonne, Mond und Sterne eine Rolle, daher beginnt die erste Vorstellung am 11. September um 19.34 Uhr mit dem Sonnenuntergang, die zweite endet als Matinee am 12. September mit dem Sonnenhöchststand.
Ich will wissen, wie es dem Ort geht, was hier los ist. So viele fahren jeden Tag an der Wiese vorbei und beachten sie gar nicht. Aber wenn ich diesen Ort als Sender verstehe, komme ich ins Unendliche.
Regisseur und Bühnenbildner Thomas Goerge
Sa 11.09., 19:34 Uhr und So 12.09.2021, 11:03 Uhr
Kartenverkauf nur online unter www.udei.de
Für Sie berichtete Manuela Praxl.
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